Die akute Phase zeichnet sich durch ein massives Aufkommen von Kommentaren, Shares, Likes und Interaktionen in den sozialen Medien aus. Die Akut-Phase ist nicht nur „emotional“ fordernd, sondern auch organisatorisch, müssen doch viele Schritte, für die man sonst Wochen oder Monate Zeit hat, schnell umgesetzt werden. 24/7 lautet die Devise, um die User gut zu betreuen. Maximale Qualität – denn in dieser Zeit sollte kein Fehler passieren.
Steps
Natürlich hängt der konkrete Ablauf von der jeweiligen Situation ab, manche Schritte bleiben allerdings in jedem Fall gleich:
- Situationsanalyse: Sammeln aller Themen und Kommentare im Netz, um einen Überblick zu erhalten; hier können auch schon wichtige (negative) Player identifiziert werden, mit denen man allenfalls gesondert in Kontakt treten muss.
- Was ist das der Krise zugrunde liegende Thema?
- Monitoring und Auswerten aller bisherigen Kommentare, Posts etc.
- Clustern der Antworten in Themen
- Wie wurde bis jetzt geantwortet?
- Sammeln aller Customer-Touch-Points und der Verantwortlichen für diese Bereiche.
- Aus den geclusterten Themen des Monitorings können (inhaltliche) Standardantworten formuliert und vorbereitet werden.
- Bewertung der Krise
- Management informieren und strukturieren: Wer ist für den weiteren Ablauf verantwortlich? Wer koordiniert, informiert und erhält auch alle wichtigen Informationen? Wer ist Ansprechperson seitens des Unternehmens? Wie erreicht man sie? Ist diese Person über ihre Aufgabe/Rolle informiert?
- Projektmanagement: Koordinieren aller Informationen, Teams, Ansprechpartner …
- Allgemeine Shitstorm-Strategie und Ziele des Unternehmens: Wie ist die Strategie des Unternehmens? Wie ist die Sachlage? Was ist passiert? Was wird verbreitet? Wie reagiert man?
- Einheitliche Unternehmensreaktion definieren
- Monitoring & Social Listening: Installieren eines geeigneten Social-Media-Tools zum Reporten & Analysieren sowie Alerts.
- Content-Strategie: Wichtig ist, dass es eine integrierte Content-Strategie sein muss, d.h. dass der Content auf allen Kanälen koordiniert verbreitet wird und selbst Werbeschaltungen dürfen nicht losgelöst von anderen Bereichen behandelt werden. Gibt es verschiedene Teams für die verschiedenen Portale, müssen auch diese koordiniert werden. Weitere Fragen müssen abgeklärt werden: Welcher Content wird in der Akut-Phase gepostet, wie geht man mit Content danach um? Braucht es eine Landingpage?
- Community-Strategie: Auch dafür gilt es, eine Strategie für alle zu entwickeln, die mit dem Kunden in Kontakt kommen – vom Social-Media-Team bis zum Customer-Service. Es empfiehlt sich, wichtige Antworten und Themen vorab zu formulieren, eventuell auch von der Rechtsabteilung freigeben zu lassen, und in einem Tool für alle Teams zugänglich zu machen.
- Informations-Strategie: Wer wird wie informiert? Von Mitarbeitern bis zu Stakeholdern, Presse oder auch Händler.
Ziele des Unternehmens & Strategie
In dieser Phase sollten auch die Ziele des Unternehmens formuliert werden, die meist relativ ähnlich sind:
- Themenhoheit bekommen oder behalten!
Wichtig ist, dass das betroffene Unternehmen auch der wichtigste Player in der Informationsverbreitung ist, denn nur auf diese Weise können Unwahrheiten geklärt und der User gut betreut werden. Dies funktioniert über eine Landingpage oder einen statischen Bereich, auf dem alle Informationen für den Leser bzw. Kunden abrufbar sind. Diese Seite ist zugleich der Servicebereich für die User. - Kontrolle über das Thema in den sozialen Medien bekommen!
Auch in den sozialen Medien muss das Unternehmen Präsenz zeigen, durch Posts auf den eigenen Kanälen und gutem, schnellem Community-Management. Auch Portale, auf denen man nicht (aktiv) präsent ist, müssen im Auge behalten werden (Social Listening). - Die User betreuen!
Ein Shitstorm entsteht meist, weil User mit einer Situation unzufrieden sind. Es gilt, Verständnis für die Unzufriedenheit aufzubringen, Gesicht zu zeigen und sich für einen Fehler auch zu entschuldigen. Auf keinen Fall in Verteidigungsposition geraten oder weiteren Raum für Spekulationen lassen. - Das Problem lösen.
Das dem Thema zugrunde liegende Problem muss gelöst werden. Dies muss wiederum transparent nach außen kommuniziert werden. - Die Medien & Stakeholder betreuen.
Grundlegende Überlegungen für die Kommunikation
Wie kann man einen Shitstorm lösen? Geht man von der Annahme aus, dass sich die Protagonisten und ersten Player der Shitstorms um Werteverhalten, Normverstöße oder Produktfehler kümmern, muss man wohl auf diese Wahrnehmung eingehen. Authentisch und seriös.
Handelt es sich wirklich um einen Fehler oder ein Fehlverhalten des Unternehmens, muss man dazu stehen und teils mit einem großen „Kniefall“ und einer ehrlichen Entschuldigung darauf reagieren. Nobody is perfect.
Es bringt auf alle Fälle nichts, sich zu verteidigen oder die User belehren zu wollen, dass ihre Wahrnehmung falsch sei – was psychologisch gar nicht möglich ist. Man muss einen Schritt weit seine Position verlassen und das Gegenüber und seine Wahrnehmung anerkennen.
„Für die meisten Krisen gilt: Besser zu viel Kommunikation als zu wenig.“ (Fiederer & Ternès, 2017) S. 21
Interne Informationsstrategie
Vor dem Start:
- Wichtige Basisinformationen sammeln und allen zur Verfügung stellen.
- Standardantworten formulieren, vom Unternehmen verifizieren lassen und allen zur Verfügung stellen – diese sollen im Falle natürlich personalisiert und adaptiert an die User versendet werden.
- Team-Meetings mit allen Verantwortlichen durchführen.
- Task-Force für Problemfälle definieren: Wie sind die Verantwortlichen auch außerhalb der Arbeitszeiten erreichbar (hier braucht es in heiklen Fällen auch die CEOs und Manager der Unternehmen).
- Tools & Regeln für laufende Beobachtung der Kommunikation festlegen.
- Wichtige Player in der Social-Media-Verbreitung des Shitstorms müssen beobachtet und allenfalls gesondert kontaktiert bzw. zu einem persönlichen Gespräch eingeladen werden.
Updates:
Die Mitarbeiter und Teams müssen auch regelmäßig upgedated werden, ihr Feedback umgekehrt vom Projektmanagement eingeholt und berücksichtigt werden.
Content-Management und die Botschaften, mit denen man nach außen geht
Im Content, im Post, auf der Landingpage, in Presseaussendungen etc. fließen alle Themen zusammen. Hier braucht es nun keine Marketingtexte, sondern vor allem professionelle, fakten-basierte, gut strukturierte, klare Texte, die das Problem transparent machen und die Lösungswege des Unternehmens darstellen. Texte mit so viel Inhalt wie nötig, aber auch nicht mehr. In jedem Fall wichtig ist, keinen Spielraum für Interpretation oder Spekulation zu lassen. Die Texte müssen folgende Informationen enthalten:
- Was ist passiert? (Fakten-Check!)
- Statement bzw. Entschuldigung
- Wer sagt das? (Person bzw. Gesicht des Unternehmens)
- Was bietet das Unternehmen als Lösung an?
- Wen kann man kontaktieren?
- Wie verbreitet man die Informationen?
Die Meldungen müssen zeitlich und inhaltlich koordiniert nach außen gehen – es empfiehlt sich eine Uhrzeit festzulegen, zu der alle Meldungen gleichzeitig „live“ geschaltet werden.
Noch einmal ist in diesem Zusammenhang auf die bedeutende Rolle der Website hinzuweisen, da sie eine Art Archiv-Funktion hat. Hier müssen sowohl die Medien als auch die User schnell alle Infos finden, eventuell braucht es hier eine vorgeschaltete Landingpage. Die sozialen Medien, Google Ads etc. haben nur die Rolle des „Verteilens“ bzw. der Auffindbarkeit des Unternehmens bzw. der Informationen.
Zum selben Zeitpunkt startet auch die Arbeit für das Community-Management und das Customer-Service.
Landingpage bzw. besondere Kontakt- und Rückrufformulare
Eine Landingpage ist ein Bereich bzw. eine Seite auf einer Website, wo spezielle Inhalte dargestellt werden. Im Falle eines Shitstorms erhält der User hier nicht nur alle Informationen und ein Statement der Firma, sondern auch die Möglichkeit, ein Produkt zu reklamieren oder mit der Firma in Kontakt zu treten.
Eine Landingpage besteht aus:
- Keywordphrasen, die zuvor recherchiert wurden
- Die Sprache ist klar, authentisch, transparent, persönlich (barrierefrei?)
- Überschrift: Sprechender Titel, klar, Markup H1
- URL: sprechend, inkl. Keywordphrase des Themas
- Call-to-Action: was kann der User machen, wie hilft ihm das Unternehmen?
- Informationspyramide: Die wichtigsten Infos befinden sich in knapper Form an oberster Stelle; nach unten hin gibt es detailreiche, weiterführende Informationen
- Inhalt:
- gut strukturiert, klar, authentisch
- Zwischenüberschriften für den „schnellen Leser“
- Bilder
- Zitat: Entschuldigung von Name/Gesicht des Unternehmens
- Statement ev. mit Entschuldigung von „jemandem“ samt Namen und Gesicht
- Kontaktmöglichkeiten
- Ev. Formular für Reklamation etc.
- Ev. Mehrsprachigkeit bzw. länderspezifische Wordings beachten
- Serverkapazitäten v.a. bei Reklamationen berücksichtigen
- Related Content & weiterführende Links
- Check, ob AGBs, Impressum und DSVGO rechtskonform sind
Bei internationalen Konzernen müssen die verschiedenen Sprachen, Wordings und auch gesetzliche Grundlagen beachtet werden.
Social-Content-Management
Auch in den sozialen Medien soll ein Post zum Thema erstellt werden – sowohl im normalen Nachrichtenfeed als auch in etwaigen Stories. Auch hier gilt dieselbe Kommunikationsstrategie – ehrlich, authentisch, aufklärend, transparent.
Der Post soll in Abstimmung mit der gesamten Content-Strategie des Unternehmens erfolgen, integriert – wie oben beschrieben. Auch hier braucht es Experten aus entsprechenden Bereichen, v.a. um Hashtags zu generieren, um den Post formal richtig zu gestalten und um allfällig andere Einstellungen in dem sozialen Medium im Auge zu haben bzw. adaptieren zu können.
Spielraum für Emotionen muss auch hier getilgt werden – das heißt u.a. auch: keine Emojis, keine Satire. Das kann auch heißen, dass man ev. der Community sagen muss, was ein „Like“ bei diesem Post ausdrückt – z. B. beim Kommentieren von Unfällen.
Weiters muss die weitere Content-Strategie bedacht werden – wie macht man abseits des Shitstorms weiter? Sorgt man für positive Reputation des Unternehmens oder würde dies die Gefahr neuerlicher Anschuldigungen und Mutmaßungen bergen?
PR- und Öffentlichkeitsarbeit
Auch hier müssen natürlich Profis ans Werk. Die Presseaussendung wird größtenteils mit den Statements auf den anderen Profilen abgestimmt sein. Eine (persönliche) Kontaktmöglichkeit ist im Fall der Presseaussendung allerdings noch wichtig als auf den unterschiedlichen Portalen. Der Presse muss passendes und korrektes Material, v.a. Bildmaterial zur Verfügung gestellt werden. Diese Unterlagen müssen schnell zugänglich sein, entsprechende Daten bzw. Hinweis, wo diese zu finden sind, sollten bei einer Presseaussendung am besten gleich mitversendet werden.
Community-Management allgemein – der Umgang mit dem User
Der User ist im Falle eines Shitstorms King. Er soll alle notwendigen Informationen gut aufbereitet erhalten. Ein freundlicher und verständnisvoller Ton für den User bewirkt meist Wunder, ebenso wie ein schnelles Reagieren. Trotzdem gibt es auch hier Grenzen, die vorab definiert werden sollen, wann z.B. ein User-Kommentar nicht beantwortet oder sogar gelöscht wird.
- Einheitliche CC-Strategie
- Tonalität: freundlich, transparent, authentisch, ehrlich
- Ansprache: personalisierte und individuelle Antworten – auch wenn sie auf Standardantworten basieren.
- Persönlich mit Gesicht und Namen: Die User schätzen es, wenn sie persönlich betreut werden und nicht vom Unternehmen XY, sondern von einer Person mit Namen eine Antwort erhalten. Auch in den Auftritten nach außen sollte ein Gesicht des Unternehmens Stellung zu dem Fall nehmen, möglichst aus der Management-Ebene.
- Inhalt: Keine Unwahrheiten erzählen – gibt es für etwas (noch) keine Antwort, kann man das auch so weitergeben; Regeln festlegen, wann und wie (öffentlich, DM) man auf User-Kommentare reagiert.
- Responder-Hierarchie: Als Erstes kann das Krisen-Team reagieren, aber es muss festgelegt werden, wann eine Reaktion von der Chefetage eines Unternehmens erfolgen muss.
- Legal: Dafür ist es wichtig, mit einem Anwalt oder der Rechtsabteilung eines Unternehmens in Verbindung zu stehen und Antworten bzw. Statements verifizieren und freigeben zu lassen.
- Reaktionszeit: Je schneller, desto besser. Gleichzeitig muss aber auf hochwertige Kommunikation geachtet werden.
- Visibilität: Welche Antworten sollen wo erscheinen (dürfen)?
- Grenzen festlegen, wann Kommentare gelöscht werden.
- Transparenz auch gegenüber Usern, wann auf Kommentare geantwortet wird.
Die smarte Kommunikation muss auf alle Medien, Posts und Beiträge angewendet werden und nicht nur auf die User-Kommentare. Auch bei sogenannten „earned“ Interaktionen der User kann man positiv reagieren, denn im besten Fall übernehmen auch zufriedene User die Rolle des Verteilens von Botschaften.
Die Kommunikation auf allen Ebenen der Customer-Touch-Points
Um seine Botschaft erfolgreich an die User bzw. alle Steakholder zu bringen, muss gut kommuniziert werden. Die „Masse“ erreicht man über unpersönliche Kommunikation der Medien, Stakeholder und Schlüsselpersonen sollten jedoch möglichst persönlich informiert werden und ihnen sollte auch die Möglichkeit für Fragen gegeben werden. Die positive Wirkung persönlicher Kommunikation sollte nicht unterschätzt werden, v.a. auch in der Medienarbeit.
Möglichkeiten der Kommunikation:
- 1-to-1-Gespräche und Telefonate
- 1-to-many-Online-Konferenzen und -Termine
- Pressekonferenzen und -aussendungen
- Newsletter
- Social Media
- Web
- Werbeschaltungen, digital und analog
Speziell für das Social-Community-Management
Gerade in den sozialen Medien ist Tempo wichtig! Die User erwarten sich möglichst schnell eine Antwort, erhalten sie länger keine, agieren sie auf dieselbe Weise nochmals oder teilen diesen „Missstand“ in ihrem Profil, was wiederum Spielraum für Mutmaßungen zulässt.
Aufgrund der notwendigen Ressourcen empfiehlt es sich, im Fall eines Shitstorms sein Social-Media-Team aufzustocken. Alle neue Mitarbeiter müssen aber zuvor eingeschult werden.
Richtlinien erstellen für:
- Öffentliche Beantwortung öffentlicher Kommentare:
Möglichkeit – nur bei groben Anschuldigungen oder Lügen. - Beantwortung öffentlicher Kommentare über Direct-Messages:
Möglichkeit – nur wenn eine Frage gestellt wird. - Beantwortung bzw. Reaktion von Direct-Messages:
Möglichkeit wie oben
- Reaktion auf Storys oder Beiträge, in denen ein Unternehmen erwähnt ist: Möglichkeit – positiv mit „Likes“, negativ ignorieren
- Abklären: Wann wird ein Kommentar gelöscht oder ein User blockiert?
No-Gos
Auch wenn man keine Negativbeispiele anführen sollte, da diese immer besonders in Erinnerung bleiben, kann es im Fall eines Shitstorms zielführend sein abzugleichen, welche Strategien nicht funktionieren:
Nicht zielführende Kommunikationsmaßnahmen im Umgang mit Krisen
„Darauf zu warten, dass ein Problem sich zu einer Krise auswäschst, taugt nicht als erfolgreiche Strategie.“(Fiederer & Ternès, 2017), S. 43
- Greenwashing: Imagewirksame Aktion für positives Image in der Öffentlichkeit, die oft mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hat.
- Bleaching
- Clear Rinsing
- Dead Man: Die Bandbreite reicht hier vom Ignorieren der Kritik bis hin zum Verschwinden des Unternehmens.
Kardinalfehler
- Fehlende Vorbereitung
- Lügen bzw. keine völlige Transparenz
- Salami-Taktik: nur scheibchenweise Informationen weitergeben
- Schweigen und Themen ignorieren, z.B. Produktrückrufe nicht offen kommunizieren
- Man reagiert zwar, aber nicht ehrlich.