Der Einfluss von Sozialen Medien auf das Risikoverhalten im Gebirge

Der Einfluss von Sozialen Medien auf das Risikoverhalten am Berg & beim Bergsteigen | alpinonline

Table of Contents

Über neue Kommunikationsformen, Phänomene und unerreichte Zielgruppen

Im Herbst 2024 durfte ich mehrmals einen Vortrag zum Thema „Einfluss der Sozialer Medien auf das Risikoverhalten im Gebirge“ halten. Das sind meine Überlegungen dazu:

Der Einfluss von Sozialen Medien auf das Risikoverhalten im Gebirge ist eine vermeintlich dankbare Filterblase, die immer wieder mit denselben Klischees bedient wird. Vor allem auch durch die Berichterstattung von klassischen Medien bei Alpinunfällen und der dadurch hervorgerufenen Folgekommunikation der Community.

Solche Klischees sind u.a.:

  • Influencer sind schuld, dass so viele Menschen in den Bergen unterwegs sind.
  • Influencer erstellen falsche und riskante Tourenbeschreibungen.
  • Betroffen sind vor allem Jugendliche, da ja nur sie die Sozialen Medien nutzen.
  • Die junge Social-Media-Nutzergruppe hat eine Holschuld für Informationen, die ja sehr gut und ausführlich auf Websites vorhanden seien.
  • Klickstarke Berichterstattungen/Content zu Bergunfällen & -rettungen:
    • Bergretter bringen sich aufgrund fahrlässiger Menschen in Lebensgefahr
    • Die Kosten für Rettungen müssen von der Gesellschaft übernommen werden.

Die Fakten:

  • Soziale Medien werden von allen Altersgruppen verwendet. Verstärkt natürlich von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, aber auch von Älteren – so verwenden 18 % der 30- bis 49-Jährigen TikTok und 17 % der über 70-Jährigen Facebook. (Anteil der Nutzer:innen von Social-Media-Plattformen nach Alter in Deutschland 2023, Statista Research Department, 06.05.2024. Abgerufen am 8.10.2024)
  • Social-Media-Content sowie Informationen zum Thema Berg werden auch von klassischen Medien und Unternehmen u.a. für kommerzielle Zwecke verbreitet. Alpinunfälle und Bergrettungseinsätze eignen sich hier besonders gut. Die Botschaft des Themas steht hier aber häufig im Hintergrund.
  • 35 % der 18 bis 24-Jährigen verwenden Soziale Medien als Hauptnachrichtenquelle. (Reuters Institute Digital News Report 2024, abgerufen am 01.11.2024). Will man diese Zielgruppe erreichen, wird man über ihre Medien und in ihrer Sprache kommunizieren müssen – Peer Communication.
  • Negative Kommunikation und das Kommentieren ist ein Trend – das Posten von Alpinunfällen lädt dazu ein.
  • Wir alle aktivieren die Massen – nicht nur die Influencer. In unserer Funktion als Medieninhaber, Medium, Brand, Unternehmen oder Institution. Und somit tragen wir auch zu einer neuen Form der Tourenplanung bei.
  • Die Contentproduktion vor Ort ist ein komplett neues und unbeachtetes Thema bezüglich Risikoverhaltens.
    • Einerseits das Posten der Bergsteiger am Berg: Das eigentlich für Notrufe gedachte Smartphone, wird zur digitalen „eierlegenden Wollmilchsau“ und ist im Notfall nicht mehr verfügbar, weil der Akku leer ist. Auch mögliche Netzausfälle werden unterschätzt.
    • Andererseits dienen Alpinunfälle als Content und Bergrettungseinsätze werden immer häufiger von Außenstehenden gefilmt. Dies beeinflusst die Arbeit der Rettungsorganisationen und kann zuweilen auch rechtliche Konsequenzen (Persönlichkeitsrechte) nach sich ziehen.

Ambivalente Botschaften:

Über das Bergsteigen werden in Summe ambivalente Botschaften gepostet, die für den Unwissenden oder Unerfahrenen nicht immer einordbar sind, wie beispielsweise:

Spaß vs. Gefahr:

Der erste Neuschnee als Best-of-Content vs. Gefahr durch Lawinen

Laien vs. Experten bzw. Wir & die Anderen:

Wer darf mit Sneakers auf den Glockner und wer wird dafür gefilmt und vernadert? Wer entscheidet dies? Wer entscheidet fahrlässig und bei wem ist es eine Leistung? Wer darf ein Risiko am Berg eingehen und wer bringt damit vermeintlich alle anderen in Gefahr?

Die Motivation der Nachricht vs. welche Botschaft beim Empfänger & der Community ankommt

Welche Rolle übernehmen hier klassische Medien, die mit klickstarken Headlines und nicht-relevanten Informationen dazu beitragen, die eigentlichen Botschaften verzerrt darzustellen.

Das kalkulierbare Risiko vs. tödliche Gefahr

Wer hat das Recht auf Risiko und wer anscheinend nicht? Ein Beitrag dazu von Nik Burger, Bergwacht Bayern, in bergundsteigen #109 „Risiko warum nicht“.

Rettung vs. Gefährdung

Gerade in Folgekommunikationen bei Posts zu Alpinunfällen wechselt das Thema der geglückten Rettung schnell zum Thema der Gefährdung der Bergretter:innen. Dass dem nicht so ist und dass es auch für Rettungsorganisationen eine Garantenstellung zum Schutz der Bergrettenden gibt, schreibt Nik Burger, Bergwacht Bayern in bergundsteigen #109 „Risiko warum nicht“.

Selbstverschulden vs. Schicksalsschlag

In den Sozialen Medien ist das Urteil oft schnell gefällt – der deutsche Halbschuhtourist ist selbst schuld und sollte nicht gerettet werden, wohingegen der Unfall eines Bergführers oder Einheimischen ein Schicksalsschlag zu sein scheint. Der Post mit dem meisten positiven Feedback ist aber jener, wenn ein Hund oder ein Schaf gerettet wird.

Einsamkeit vs. Realität

Gepostet, und von uns allen verkauft, wird die Einsamkeit am Berg. Ambivalent hingegen die Botschaften überfüllter Hütten und überlaufener Hotspots.

Anonymität vs. Öffentlichkeit

„Das ist meine (anonyme) Meinung, ich stell sie mal öffentlich“ – unter dem Deckmantel des sozialen “Wir”. Der User/die Userin nimmt sich selbst nicht als Medieninhaber:in wahr und überschreitet gerne ethische und rechtliche Grenzen. Überrascht sind sie dann, wenn juristische Konsequenzen folgen.

Versicherung vs. Vollkasko-Mentalität

Zeitgleich auf Facebook sehe ich die Werbung zum Abschluss einer Bergungskostenversicherung und das Bashing gegen einen verunfallten Bergsportler, der einen Notruf abgesetzt hat.

Der vermeintlich nüchterne Unfallbericht vs. der Aufruf zum Lösen des Alpinkrimis

Während Gutachter und Staatsanwaltschaft oft Jahre brauchen, um zu wissen, was bei einem Unfall passiert ist und wer oder was die Ursache war, weiß es die Community sofort. Das Posten von Alpinunfällen, das Setzen von Emojis oder das Verwenden einer klickstarken Headline laden dazu ein, wenn nicht sogar die Online-Community gemeinsam auf vermeintliche Täter-Jagd geht.

Sensibilisieren vs. Rage Bait

Gut gemeint ist das Gegenteil von … Unter dem Deckmantel des Sensibilisierens oder „Lernen aus Unfällen“ steckt oft eine kommerzielle Absicht des Erreichens vieler Klicks. Funktioniert!

Mutmaßungen vs. Fakten

Wer nichts weiß, muss alles glauben, oder? Welche Zielgruppe oder Nationalität verunfallt wirklich am häufigsten und wie viele Lawinentoten gibt es? Und warum steigt die Zahl der Blockierten? Ist v.a. Letzteres nicht ein gutes Zeichen, dass anscheinend Sensibilisierung hilft und anscheinend rechtzeitig ein Notruf abgesetzt wird?

Fakten zu Alpinunfällen findet man nicht in der Community, sondern beispielsweise beim Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit.

Alle diese ambivalenten Botschaften schwirren im Netz herum. Daher kann man es wohl niemanden vorwerfen, dass die Bilder nicht immer einordbar sind. Noch dazu werden Inhalte nicht kuratiert oder verifiziert. Hinzukommt die Frage: Wer nimmt sich der Community der „Unwissenden“ an und klärt auf? Oder rufen wir nicht einfach alle auf zum Wettbewerb des besten Contents.

„Die Bergsteiger:innen“

Zuallererst, „die Bergsteiger:innen“ als homogene Gruppe gibt es nicht. Es gibt Bergsportler:innen, Bergabenteurer:innen und Naturgenießer:innen, die aus verschiedenen Motivationen und mit unterschiedlichem Wissensstand draußen unterwegs sind.

Von „diesen Bergsteiger:innen“ ist nur eine Schnittmenge in den Sozialen Medien unterwegs. Von diesen wiederum lassen sich nur eine weitere Schnittmenge beeinflussen. Denn es gibt sogar noch Bergsteiger:innen, die analog kommunizieren. Wir und die anderen.

Abschließende Fragestellungen & Fazit:

  • Warum ist die Fragestellung relevant?
  • Sind wir auch Teil der Filterblase, des Bestätigungsdenkens, Illusory truth effect & Confirmation Bias?
  • Wie beeinflussen Soziale Medien die Arbeit der Rettungsorganisationen?

Somit beeinflussen „die Soziale Medien“ sicher nicht „alle Bergsteiger“.

  • Wir wissen nicht, wie Soziale Medien “das Bergsteigen” und “die Bergsteiger:innen” verändern, weil nur ein Teil davon sichtbar ist.
  • Wir betrachten nur jene Aktivitäten von jenen Menschen, die diese online öffentlich stellen. Auch wir sind hier in unserer Filterblase und unserem Bestätigungsdenken gefangen.
  • Der Rest an nicht-sichtbaren qualitativen Bergsteigern und Bergsteigerinnen wird nicht gesehen und ist somit nicht beweisbar.
  • Soziale Medien erreichen nur Leute, die in den Sozialen Medien präsent sind und diese auch aktiv konsumieren. Inhalte sind nur Teil der Realität.

Wie erreicht man nun die Zielgruppen?

  • Wen will man mit den Posts betreuen? Und ist diese Zielgruppe wirklich in den Sozialen Medien?
  • Was will man mit den Posts erreichen? Was würde passieren, würde man nicht posten?
  • Ist man sich der “Fallstricke” Sozialer Medien bewusst? Wie vermeidet man sie?
  • Beinhaltet der Post mögliche, ambivalente Botschaften?
  • Wer kümmert sich um die Folgekommunikation?
  • Kommt die Botschaft auch wirklich so beim User an? Oder werden nicht wieder Filterblasen gefüllt?

Beiträge zum Thema:

Ambivalente Botschaften:

Über das Bergsteigen werden in Summe ambivalente Botschaften gepostet, die für den Unwissenden oder Unerfahrenen nicht immer einordbar sind:

Spaß vs. Gefahr:

der erste Neuschnee als Best-of-Content vs. Gefahr

Laien vs. Experten bzw. Wir & die Anderen:

Wer darf mit Sneakers auf den Glockner und wer wird dafür gefilmt und vernadert? Wer entscheidet dies? Wer entscheidet fahrlässig und bei wem ist es eine Leistung. Wer darf ein Risiko am Berg eingehen und wer bringt damit vermeintlich alle anderen in Gefahr.

Die Motivation der Nachricht vs. welche Botschaft beim Empfänger & der Community

Und welche Rolle hier klassische Medien mit klickstarten Headelines gespickt mit nicht-relevanten Informationen dazu beitragen.

Das kalkulierbare Risiko vs. tödliche Gefahr

Und wer hat hier das Recht auf Risiko und wer anscheinend nicht. Ein Beitrag dazu von Nik Burger in bergundsteigen #109 „Risiko warum nicht“.

Rettung vs. Gefährdung

Gerade in Folgekommunikationen bei Posts zu Alpinunfällen wechselt das Thema der geglückten Rettung schnell zum Thema der Gefährdung der Bergretter. Das dem nicht so ist und dass es auch für Rettungsorganisationen eine Garantenstellung zum Schutz der Bergretter gibt, auch hierzu schreibt Nik Burger in bergundsteigen #109 „Risiko warum nicht“.

Selbstverschulden vs. Schicksalsschlag

In den Sozialen Medien ist das Urteil oft schnell gefällt – der deutsche Halbschuhtourist ist selbst schuld und sollte nicht gerettet werden, wohingegen der Unfall eines Bergführers oder Einheimischen ein Schicksalsschlag zu sein. Der Post mit dem meisten positiven Feedback ist aber jene, wenn ein Hund oder ein Schäfchen gerettet wird.

Einsamkeit vs. Realität

Gepostet und von uns allen verkauft wird die Einsamkeit am Berg. Ambivalent hingegen die Botschaften überfüllter Hütten und überlaufener Hotspots.

Anonymität vs. Öffentlichkeit

„Das ist meine (anonyme) Meinung,  ich stell sie mal öffentlich“ – unter dem Deckmantel des sozialen “Wir”. Der User nimmt sich selbst nicht als Medieninhaber wahr und überschreitet gerne ethische und rechtliche Grenzen. Überrascht ist er, wenn es auch juristische Konsequenzen gibt.

Versicherung vs. Vollkaskomentalität

Zeitgleich auf Facebook sehe ich die Werbung zum Abschluss einer Bergungskostenversicherung und das Bashing gegen einen verunfallten Bergsportler, der den Notruf abgesetzt hat.

Der vermeintlich nüchterne Unfallbericht vs. der Aufruf zum Lösen des Alpinkrimis

Während Gutachter und Staatsanwaltschaft oft Jahre brauchen um zu wissen, was bei einem Unfall passiert ist und wer oder was die Ursache war, weiß es die Community sofort. Das Posten von Alpinunfällen, setzen von Emojis oder Verwenden einer klickstarten Headline laden dazu ein, wenn nicht sogar die Online-Community gemeinsam auf Täter-Jagd geht.

Sensibiliseren vs. Rage Bait

Gut gemeint ist das Gegenteil von… Unter dem Deckmantel des Sensibilisieren oder „Lernen aus Unfällen“ steckt oft eine kommerzielle Absicht des Erreichen vieler Klicks. Funktioniert!

Mutmaßungen vs. Fakten

Oder wer nichts weiß, muss alles glauben. Welche Zielgruppe oder Nationalität verunfallt wirklich am häufigsten und wieviele Lawinentoten gibt es? Und warum steigt die Zahl der Blockierten? Ist v.a. letzteres nicht ein gutes Zeichen, dass anscheinend Sensibilisierung hilft und anscheinend rechtzeitig ein Notruf abgesetzt wird.

Fakten zu Alpinunfällen findet man nicht in der Community, sondern zb beim Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit.

Und all diese ambivalenten Botschaften schwirren im Netzt herum. Daher kann man es wohl niemanden vorwerfen, dass die Bilder nicht immer einordbar sind. Noch dazu werden Inhalte nicht kursiert oder verifiziert und wer nimmt sich der Community der „Unwissenden“ an und klärt auf? Oder rufen wir nicht einfach alle auf zum Wettbewerb des besten Contents.

„Die Bergsteiger“

Zuallererst, „die Bergsteiger“ als homogene Gruppe gibt es nicht. Es gibt Bergsportler, -abenteurer und Naturgenießer, die aus verschiedenen Motivationen und mit verschiedenem Wissensstand draussen unterwegs sind.

Und von „diesen Bergsteigern“ ist nur eine Schnittmenge in den Sozialen Medien unterwegs, und von diesen wiederum lassen sich nur eine weitere Schnittmenge beeinflussen. Denn es gibt sogar noch Bergsteiger, die analog kommunizieren. Wir und die anderen.

Abschließende Fragestellungen & Fazit:

  • Warum ist die Fragestellung relevant?
  • Sind wir auch Teil der Filterblase, des Bestätigungsdenkens, Illusory truth effect & Confirmation Bias?
  • Wie beeinflussen Soziale Medien die Arbeit der Rettungsorganisationen?

Somit beeinflussen „die Soziale Medien“ sicher nicht „alle Bergsteiger“.

  • Wir wissen nicht, wie Soziale Medien “das Bergsteigen” und “die Bergsteigerinnen” verändern, weil nur ein Teil davon sichtbar ist.
  • Wir betrachten nur jene Aktivitäten von jenen Menschen, die diese online öffentlich stellen. Auch wir sind hier in unserer Filterblase & Bestätigungsdenken gefangen.
  • Der Rest an nicht-sichtbaren qualitativen Bergsteigern ist wird nicht gesehen & ist somit nicht beweisbar.
  • Sozialen Medien erreichen nur Leute, die in den Sozialen Medien präsent sind und diese auch aktiv konsumieren. Inhalte sind nur Teil der Realität.

Wie erreicht man nun die Zielgruppen?

  • Wen will man mit den Posts betreuen? Und ist diese Zielgruppe wirklich in den Sozialen Medien?
  • Was will man mit den Posts erreichen? Was wäre würde passieren, würde man nicht posten?
  • Ist man sich der “Fallstricke” Sozialer Medien bewusst? Wie vermeidet man sie?
  • Beinhaltet der Post mögliche, ambivalente Botschaften?
  • Wer kümmert sich um die Folgekommunikation?
  • Kommt die Botschaft auch wirklich so beim User an? Oder werden nicht wieder Filterblasen gefüllt?

Beiträge zum Thema: