Das Posten von Skitouren und Freerideabfahrten in den Sozialen Medien – Chancen und Fallstricke fürUser & Organisationen
Meine Take Aways von der 9. Snow & Safety Conference
- Zu den Kongressteilnehmer:innen zählten Jugendliche der Freeride Academy, und man muss es wieder einmal sagen: die Jugendlichen haben einen reflektierten Umgang mit Social Media
- Klassische Medien müssen beim Transportierten ambivalenter Bilder am Berg mehr in die Pflicht genommen werden
- Die Wichtigkeit von „Fakten-Wissen“ anstatt einem „Glauben-Wissen“ ist noch einmal mehr in den Vordergrund getreten
- Auch Sam Anthamatten verwendet „Fakten-Wissen“ als Basis seines Risikomanagements: Nämlich die Zahlen des analyse.berg des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit
Weitere Beiträge zum Thema:
Ambivalente Botschaften:
Über das Bergsteigen werden in Summe ambivalente Botschaften gepostet, die für den Unwissenden oder Unerfahrenen nicht immer einordbar sind:
Spaß vs. Gefahr:
der erste Neuschnee als Best-of-Content vs. Gefahr
Laien vs. Experten bzw. Wir & die Anderen:
Wer darf mit Sneakers auf den Glockner und wer wird dafür gefilmt und vernadert? Wer entscheidet dies? Wer entscheidet fahrlässig und bei wem ist es eine Leistung. Wer darf ein Risiko am Berg eingehen und wer bringt damit vermeintlich alle anderen in Gefahr.
Die Motivation der Nachricht vs. welche Botschaft beim Empfänger & der Community
Und welche Rolle hier klassische Medien mit klickstarten Headelines gespickt mit nicht-relevanten Informationen dazu beitragen.
Das kalkulierbare Risiko vs. tödliche Gefahr
Und wer hat hier das Recht auf Risiko und wer anscheinend nicht. Ein Beitrag dazu von Nik Burger in bergundsteigen #109 „Risiko warum nicht“.
Rettung vs. Gefährdung
Gerade in Folgekommunikationen bei Posts zu Alpinunfällen wechselt das Thema der geglückten Rettung schnell zum Thema der Gefährdung der Bergretter. Das dem nicht so ist und dass es auch für Rettungsorganisationen eine Garantenstellung zum Schutz der Bergretter gibt, auch hierzu schreibt Nik Burger in bergundsteigen #109 „Risiko warum nicht“.
Selbstverschulden vs. Schicksalsschlag
In den Sozialen Medien ist das Urteil oft schnell gefällt – der deutsche Halbschuhtourist ist selbst schuld und sollte nicht gerettet werden, wohingegen der Unfall eines Bergführers oder Einheimischen ein Schicksalsschlag zu sein. Der Post mit dem meisten positiven Feedback ist aber jene, wenn ein Hund oder ein Schäfchen gerettet wird.
Einsamkeit vs. Realität
Gepostet und von uns allen verkauft wird die Einsamkeit am Berg. Ambivalent hingegen die Botschaften überfüllter Hütten und überlaufener Hotspots.
Anonymität vs. Öffentlichkeit
„Das ist meine (anonyme) Meinung, ich stell sie mal öffentlich“ – unter dem Deckmantel des sozialen “Wir”. Der User nimmt sich selbst nicht als Medieninhaber wahr und überschreitet gerne ethische und rechtliche Grenzen. Überrascht ist er, wenn es auch juristische Konsequenzen gibt.
Versicherung vs. Vollkaskomentalität
Zeitgleich auf Facebook sehe ich die Werbung zum Abschluss einer Bergungskostenversicherung und das Bashing gegen einen verunfallten Bergsportler, der den Notruf abgesetzt hat.
Der vermeintlich nüchterne Unfallbericht vs. der Aufruf zum Lösen des Alpinkrimis
Während Gutachter und Staatsanwaltschaft oft Jahre brauchen um zu wissen, was bei einem Unfall passiert ist und wer oder was die Ursache war, weiß es die Community sofort. Das Posten von Alpinunfällen, setzen von Emojis oder Verwenden einer klickstarten Headline laden dazu ein, wenn nicht sogar die Online-Community gemeinsam auf Täter-Jagd geht.
Sensibiliseren vs. Rage Bait
Gut gemeint ist das Gegenteil von… Unter dem Deckmantel des Sensibilisieren oder „Lernen aus Unfällen“ steckt oft eine kommerzielle Absicht des Erreichen vieler Klicks. Funktioniert!
Mutmaßungen vs. Fakten
Oder wer nichts weiß, muss alles glauben. Welche Zielgruppe oder Nationalität verunfallt wirklich am häufigsten und wieviele Lawinentoten gibt es? Und warum steigt die Zahl der Blockierten? Ist v.a. letzteres nicht ein gutes Zeichen, dass anscheinend Sensibilisierung hilft und anscheinend rechtzeitig ein Notruf abgesetzt wird.
Fakten zu Alpinunfällen findet man nicht in der Community, sondern zb beim Österreichischen Kuratorium für Alpine Sicherheit.
Und all diese ambivalenten Botschaften schwirren im Netzt herum. Daher kann man es wohl niemanden vorwerfen, dass die Bilder nicht immer einordbar sind. Noch dazu werden Inhalte nicht kursiert oder verifiziert und wer nimmt sich der Community der „Unwissenden“ an und klärt auf? Oder rufen wir nicht einfach alle auf zum Wettbewerb des besten Contents.
„Die Bergsteiger“
Zuallererst, „die Bergsteiger“ als homogene Gruppe gibt es nicht. Es gibt Bergsportler, -abenteurer und Naturgenießer, die aus verschiedenen Motivationen und mit verschiedenem Wissensstand draussen unterwegs sind.
Und von „diesen Bergsteigern“ ist nur eine Schnittmenge in den Sozialen Medien unterwegs, und von diesen wiederum lassen sich nur eine weitere Schnittmenge beeinflussen. Denn es gibt sogar noch Bergsteiger, die analog kommunizieren. Wir und die anderen.
Abschließende Fragestellungen & Fazit:
- Warum ist die Fragestellung relevant?
- Sind wir auch Teil der Filterblase, des Bestätigungsdenkens, Illusory truth effect & Confirmation Bias?
- Wie beeinflussen Soziale Medien die Arbeit der Rettungsorganisationen?
Somit beeinflussen „die Soziale Medien“ sicher nicht „alle Bergsteiger“.
- Wir wissen nicht, wie Soziale Medien “das Bergsteigen” und “die Bergsteigerinnen” verändern, weil nur ein Teil davon sichtbar ist.
- Wir betrachten nur jene Aktivitäten von jenen Menschen, die diese online öffentlich stellen. Auch wir sind hier in unserer Filterblase & Bestätigungsdenken gefangen.
- Der Rest an nicht-sichtbaren qualitativen Bergsteigern ist wird nicht gesehen & ist somit nicht beweisbar.
- Sozialen Medien erreichen nur Leute, die in den Sozialen Medien präsent sind und diese auch aktiv konsumieren. Inhalte sind nur Teil der Realität.
Wie erreicht man nun die Zielgruppen?
- Wen will man mit den Posts betreuen? Und ist diese Zielgruppe wirklich in den Sozialen Medien?
- Was will man mit den Posts erreichen? Was wäre würde passieren, würde man nicht posten?
- Ist man sich der “Fallstricke” Sozialer Medien bewusst? Wie vermeidet man sie?
- Beinhaltet der Post mögliche, ambivalente Botschaften?
- Wer kümmert sich um die Folgekommunikation?
- Kommt die Botschaft auch wirklich so beim User an? Oder werden nicht wieder Filterblasen gefüllt?
Beiträge zum Thema:
- Be a social hero. Wie Lawinengefahr für Skitourengeher kommuniziert werden kann.
- Der Alpinunfall in den Sozialen Medien.
- Risiko, warum nicht? Nik Burger
- Bergrettung wider Willen. Nik Burger
- (Straf-)Rechtliche Konsequenzen bei einem Shitstorm. Interview mit Dr. Robert Kerschbaumer